Beauftragt eine im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen Anwalt, der seine Kanzlei weder am Sitz des Gerichts noch am Sitz der Partei hat, sind dessen Reisekosten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks zu erstatten.
LG Oldenburg, Beschl. v. 7.12.2020 – 13 O 1208/20
Die Beklagte mit Sitz im Landgerichtsbezirks war vor dem LG Oldenburg verklagt worden. Als Prozessbevollmächtigten hat sie einen Rechtsanwalt beauftragt, der weder am Gerichtsort noch am Sitz der Beklagten ansässig war, sondern an einem dritten Ort außerhalb des Gerichtsbezirks. Nach Abschluss des Verfahrens meldete die Beklagte dessen Reisekosten zur Festsetzung an. Sie berief sich darauf, dass zwischen ihr und dem Prozessvollbevollmächtigten ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe und der Prozessbevollmächtigte sie in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle bereits vertreten habe bzw. noch vertrete. Das Gericht hat die Beauftragung eines Anwalts bzw. einer Anwältin außerhalb des Gerichtsbezirks als nicht notwendig angesehen und die Reisekosten lediglich in Höhe der höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Landgerichtbezirks festgesetzt.
Notwendigkeitsprüfung nur bei Anwältinnen und Anwälten außerhalb des Gerichtsbezirks
Grundsätzlich sind die Reisekosten eines Anwalts nur bis zur Höhe der Entfernung zwischen dem Sitz der Partei und dem Gericht erstattungsfähig, da eine Partei grundsätzlich berechtigt ist, einen Anwalt oder eine Anwältin an ihrem Sitz zu beauftragen. Es besteht dagegen keine Obliegenheit, einen ortsansässigen Anwalt zu beauftragen. Daher schränkt § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO die Erstattungsfähigkeit von anwaltlichen Reisekosten auch nur für Anwälte außerhalb des Gerichtsbezirks ein, nicht aber auch für Anwälte im Gerichtsbezirk. Die Reisekosten eines Anwalts im Gerichtsbezirk sind immer ohne Notwendigkeitsprüfung zu erstatten (LG Krefeld JurBüro 2011, 307 = RVGreport 2011, 235 = AGS 2014, 424 = JurBüro 2014, 377 = NJW-Spezial 2014, 540; AG Limburg AGS 2013, 98 = NJW-Spezial 2013, 124; LG Gera AGS 2014, 251; AG Siegburg AGS 2012, 594 m. Anm. Thiel = NJW-Spezial 2013, 93; AG Gießen, AGS 2014, 544).
Wird ein Anwalt an einem dritten Ort beauftragt, also weder am Gerichtsort noch am Sitz der Partei, so ist zunächst eine Notwendigkeitsprüfung durchzuführen (§ 91 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. ZPO).
Diese Notwendigkeitsprüfung ergab hier, dass die Beauftragung des Anwalts am dritten Ort nicht notwendig war. Ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen der Partei und dem Beklagtenvertreter führt für sich genommen noch nicht zur Notwendigkeit (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., Nr. 7003 bis 7006 VV-RVG Rn. 131). Unerheblich ist insoweit auch, dass der Prozessbevollmächtigte in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte bereits eingebunden war. Auch am Geschäftsort der Beklagten bzw. in unmittelbarer Umgebung hätte es geeignete Anwälte gegeben, die von der Beklagten in diesem Fall hätten beauftragt werden können.
Reisekosten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig
Die fehlende Notwendigkeit der Einschaltung eines Anwalts am dritten Ort führt jedoch nicht dazu, dass dessen Reisekosten nicht erstattet werden oder nur bis zur Höhe der Entfernung zwischen dem Sitz der Beklagten und dem Gericht. Vielmehr sind nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2018, 2572; AGS 2019, 42 = NJW 2019, 681) die Reisekosten eines Anwalts bzw. einer Anwältin außerhalb des Gerichtsbezirks zu erstatten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks. Insoweit hat das Gericht eine Entfernung von 87 km ermittelt und in dieser Höhe die Reisekosten für erstattungsfähig angesehen.
Die Entscheidung ist dem Grunde nach zutreffend.
Die Reisekosten eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts sind stets ohne Notwendigkeitsprüfung zu erstatten. Beauftragt eine im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen Anwalt, der seine Niederlassung außerhalb des Gerichtsbezirks hat, so sind dessen Reisekosten zu erstatten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks. Dabei ist die Prüfung für jede Instanz gesondert vorzunehmen (OLG Frankfurt AGS 2018, 481 = RVGreport 2019, 144).
- Liegt die Entfernung zur Kanzlei des auswärtigen Anwalts unter der höchstmöglichen Entfernung im Gerichtsbezirk, sind die tatsächlichen Reisekosten in voller Höhe zu erstatten.
- Liegt die Entfernung zur Kanzlei des auswärtigen Anwalts über der höchstmöglichen Entfernung im Gerichtsbezirk, sind die tatsächlichen Reisekosten des auswärtigen Anwalts zu erstatten bis zur höchstmöglichen Entfernung im Gerichtsbezirk.
Hier war der zweite Fall gegeben, so dass die tatsächlichen Reisekosten des auswärtigen Anwalts bis zur höchstmöglichen Entfernung im LG-Bezirk Oldenburg zu erstatten waren. Insoweit hat das LG allerdings verkannt, dass die höchstmögliche Entfernung im LG-Bezirk Oldenburg 89 km beträgt (siehe gerichtsbezirke.de).
Die komplette Tabelle aller Gerichte und dem jeweils am weitesten entfernten Ort inklusive erstattungsfähigen Fahrtkosten als praktisches Nachschlagewerk von Herausgeber Norbert Schneider zum kostenlosen Download.
Foto: Adobe Stock/SmileVisionPhotography
Rechtsanwalt Norbert Schneider ist einer der versiertesten Praktiker im Bereich des anwaltlichen Gebühren- und Kostenrechts und Autor zahlreicher Fachpublikationen und Seminare. So hat er bereits zahlreiche Werke zum RVG veröffentlicht. Er ist außerdem Autor der Fachinfo-Tabelle Gerichtsbezirke 2024 zur Reisekostenabrechnung.